Grundlagen der Handelsbetriebslehre
1. Gegenstand Erkenntnisobjekt der Handelsbetriebslehre sind die Betriebe des institutionellen Handels und deren Führung (Handelsmanagement). Damit ist die Handelsbetriebslehre als eine auf einen bestimmten Wirtschaftszweig bezogene Konkretisierung der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu verstehen, neben anderen Spezialisierungen, wie z.B. Industriebetriebslehre, Bankbetriebslehre, Versicherungsbetriebslehre. Besonderes Kennzeichen von Handelsbetrieben ist das Transaktionsmerkmal: Handelsbetriebe kaufen Güter ein, um diese in der Regel unverändert zu verkaufen. Die Gegenstände der Handelsbetriebslehre ergeben sich aus den mit diesem Merkmal verbundenen Entscheidungsproblemen, wie der Standortwahl, der Wahl der Kunden- und Lieferantenkreise, der Sortimentszusammensetzung, der Festlegung der Güterpreise u.a.m. Das Bestreben der Handelsbetriebslehre ist wie bei allen Wirtschaftszweiglehren, sich die Erkenntnisse der funktionellen Betriebswirtschaftslehren zu Eigen zu machen und diese auf ihr Erkenntnisobjekt zu beziehen. Diese Forderung bedeutet, dass z.B. solche Gebiete zu integrieren sind, wie sie sich als betriebswirtschaftliche Beschaffungs- und Absatzlehre oder als Organisation- und Planungslehre herausgebildet haben. Schliesslich ist die Handelsbetriebslehre unter dem Einfluss neuer Techniken der Information und der Kommunikation weiter zu entwickeln (E-Commerce).
2. Entwicklung Die Klassiker der Wirtschaftslehre fassten die Aufgaben, Leistungen und Institutionen der gewerblich tätigen Menschen unter der Bezeichnung Handel zusammen (Wirtschaft = Handel). Ideengeschichtlich stand die Lehre vom Handel stets im Spannungsverhältnis von Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre, so dass die Geschichte des Handels im Grunde genommen sowohl als Geschichte der Volkswirtschaftslehre als auch als Geschichte der Betriebswirtschaftslehre zu verstehen ist. Bis in das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts besteht die namentliche Identität von Betriebswirtschaftslehre und Handelsbetriebslehre. Die Entwicklung lässt sich nach Seffert in folgende Epochen einteilen: · die Frühzeit der verkehrs- und rechnungstechnischen Anleitungen (bis 1674) · die systematische Handlungswissenschaft (1675-1804, Savary, Ludovici und Leuchs) · die Niedergangszeit der Handelswissenschaften (19. Jahrhundert) · die Aufbauzeit der beschreibenden Handelstechnik (1898-1911). So wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein an einigen deutschen Handelshochschulen die Privat- oder Betriebswirtschaftslehre unter der Bezeichnung Handelsbetriebslehre in den Vorlesungsverzeichnissen angekündigt. Eine bis auf die Gegenwart massgebliche und umfassende Darstellung der Institutionen des Handels bietet im Jahre 1918 die Publikation von Julius Hirsch „Der moderne Handel”. Diese Zeit wurde für die Behandlung betriebswirtschaftlicher Spezialfragen des Binnenhandels als reif angesehen. Die Gründungen des Kölner Einzelhandelsinstituts (heute: Institut für Handelsforschung, IfH) sowie der Forschungsstelle für den Handel in Berlin (FfH) im Jahr 1929 kennzeichnen den Beginn der empirischen Handelsforschung in Deutschland.
3. Ausbildung und Lehre Die akademische Ausbildung im Fach Handel bieten Berufsakademien (BA), Fachhochschulen (FH) und Universitäten an. Gängige Abschlüsse sind: Dipl.-Betriebswirt/in (BA), Dipl.-Betriebswirt/in (BA) — Handel, Dipl.-Betriebsw. (FH), Dipl.-Kfin./Kff. (FH), Dipl.-Hdl., Dipl.-Kfin./Kff., Dipl.-Päd., Dipl.- ök. und Dipl.-Wirtsch.-Päd. Mit dem Übergang zu Bachelor- und Masterstudiengängen verlieren diese Abschlüsse (quantitativ) an Bedeutung und neue Spezialisierungen bilden sich heraus, insbesondere in den Masterstudiengängen, z.B. Master in Retail Management. Als Ausbildungsberufe bietet der Handel folgende Qualifikationen an: Verkäufer(in), Kaufmann/-frau im Einzelhandel oder im Gross- und Aussenhandel. Abschlüsse im Rahmen der Fortbildung sind der (die) Handelsassistent(in) und der (die) Handelsfachwirt(in). Um die Flexibilität in der Lehre — und damit die Anpassung an die Entwicklung in der Praxis und an den Fortschritt in der Forschung — zu erhalten, lassen die Prüfungsordnungen, insbesondere der Universitäten, den Curricula viel Spielraum. Neben zahlreichen individuellen Schwerpunkten bilden folgende Bereiche den Kern einer jeden Handelsbetriebslehre:
(1) die Institutionenlehre des Handels, inklusive Binnenhandelspolitik;
(2) die Lehre von den Handelsfunktionen, inklusive deren Verteilung in den Absatzkanälen;
(3) das Handelsmanagement, meist mit deutlicher Betonung des Handelsmarketings (fliessender Übergang zum Fach Marketing).
4. Handel In einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft übernimmt der Handel die Aufgabe, räumliche, zeitliche, qualitative und quantitative Diskrepanzen zwischen der Produktion und der Konsumtion auszugleichen. In diesem weit gefassten Verständnis ist jeder Austausch von Gütern und Dienstleistungen Handel bzw. Distribution, unabhängig davon, welche Betriebe ihn durchführen. Dies können auch Produktions-, Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe sein, die Waren zukaufen, um ihr Absatzprogramm zu erweitern. Infolgedessen muss zwischen den Begriffen des funktionellen Handels und des institutionellen Handels unterschieden werden. Funktioneller Handel ist identisch mit Distribution, umfasst also im weitesten Sinne das Herbeiführen eines Austausches von wirtschaftlichen Gütern zwischen Wirtschaftssubjekten, im engen Sinne den erwerbstätigen Austausch von beweglichen Sachgütern, ohne dass diese be oder verarbeitet werden. Institutioneller Handel erfasst jenen Teil des Güteraustausches zwischen Wirtschaftssubjekten, der von den hierauf spezialisierten Betrieben durchgeführt wird, also von Handelsbetrieben. Abbildung 1 zeigt die Handelsbegriffe im Überblick:
5. Handelsforschung Handelsforschung kann nach Tietz (1969, S. V) umfassend „als Forschung über den Handel und Forschung für den Handel verstanden” werden. Sie umfasst die wissenschaftliche Analyse aller Probleme, Erscheinungsformen und Entscheidungsprozesse des Handels. Dabei kann — je nach Fragestellung — die mikroökonomische oder die makroökonomische Perspektive eingenommen werden. Aus Sicht des funktionellen Handels sind der Objektbereich der Handelsforschung die Prozesse der Güterbeschaffung und des -absatzes, unabhängig von den Handel treibenden Institutionen. Aus Sicht des institutionellen Handels sind Gegenstände der Handelsforschung die Handelsbetriebe. Aufgabe der mikroökonomisch orientierten Handelsforschung sind die Beschreibung und Erklärung von Prozessen und Phänomenen im Handel sowie die Entscheidungsvorbereitung der Entscheidungsträger einer Handelsunternehmung. Diese sollen in die Lage versetzt werden, Strukturen und Aktivitäten von Handelsbetrieben zu verstehen und zu erläutern sowie Gestaltungsprobleme zu lösen. Eine Aufgabe der makroökonomisch orientierten Handelsforschung ist z.B. der Produktivitätsnachweis des Handels als Mittler zwischen Hersteller und Verbraucher. Die Ansätze der Handelsforschung lassen sich unterteilen in materielle und formale Ausrichtungen. Träger der Handelsforschung sind die Hochschulen (Universitäten, Fachhochschulen), privatwirtschaftliche oder halbstaatliche Institute und Handelsverbände/-organisationen mit dem EHI als Dachorganisation. Hinweis Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe Beschaffungsmanagement, Category Management, Customer Relationship Management (CRM), Digitales Marketing, E-Commerce, Efficient Consumer Response, Electronic Procurement, Franchising, Händlermarke (Retail Brand), Handelsforschung, Handelsmarketing, Internationales Marketing, Kommunikationspolitik, Konsumentenverhalten, Kundenzufriedenheit, Logistik, Markenführung, Marketingcontrolling, Marketing, Grundlagen, Marktforschung, Medienökonomie, Messemanagement, Mobile Commerce, Ökologie-Marketing, Preispolitik, Produktpolitik, Supply Chain Management, Vertriebspolitik, Vertriebswege, neuere, Werbung.
Literatur: Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distributionen (Hrsg.): Katalog E — Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft,
5. Ausgabe, Köln 2006; Barth, K., Hartmann, M., Schröder, H.: Betriebswirtschaftslehre des Handels, 6. Auflage, Wiesbaden 2006; Falk, B., Wolf, J.: Handelsbetriebslehre, 11. Auflage, Landsberg/Lech 1992; Hansen, U.: Absatz- und Beschaffungsmarketing des Einzelhandels, 2. Auflage, Göttingen 1990; Lerchenmüller, M.: Handelsbetriebslehre, Ludwigshafen 2003; Liebmann, H.-P., Zentes, J.: Handelsmanagement, München 2001; Müller-Hagedom, L.: Der Handel, Stuttgart u.a. 1998; Schröder, H.: Handelsmarketing: Methoden und Instrumente im Einzelhandel, München 2002; Seyffert, R.: Wirtschaftslehre des Handels, 5. Auflage, Opladen 1972; Tietz, B.: Grundlagen der Handelsforschung, Rüschlikon-Zürich 1969; Tietz, B.: Der Handelsbetrieb, München 1993. Internetadressen: http://www.arbeitsagentur.de/, http://www.ehi.org, http://www.ifhkoeln.de/, http:// lp.lpvnet.de/, http://www.lz-net.de/, http://www.ecrnet.org/
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