versteht sich als betriebswirtschaftliche interdisziplinäre Forschungsdisziplin, die auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaftszweige zurückgreift, um einen Beitrag zur Lösung spezifischer Probleme des Marketing zu leisten. Im Laufe der Marketing-Geschichte hat das Marketing eine Reihe von Entwicklungsstufen durchlaufen, in der sich verschiedene klassische und moderne Ansätze der Marketingtheorie im gegenseitigen Paradigmenwechsel mit der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre herausgebildet haben. Diese lassen sich in Theorieansätze der betrieblichen Absatzlehre und Ansätze der modernen Marketingtheorie unterteilen (vgl. Abb.). Bei den Theorien der klassischen Absatzlehre sind die materiellen Ansätze (institutionenorientierter, funktionenorientierter, waren- und verbraucherorientierter) sowie der modelltheoretische Ansatz von Erich Gutenberg hervorzuheben. Der institutionenorientierte Ansatz ist der älteste Ansatz der Absatz- bzw. Marketingtheorie und machte zunächst die Deskription und Klassifikation empirisch vorfindbarer absatzwirtschaftlicher Organe („Institutionen“) zu seinem Forschungsgegenstand (Erich Schäfer, 1950; Rudolf Seyffert, 1955). Der Forschungsgegenstand ist dabei in neueren Arbeiten um die Analyse der Konzentrations- und Kooperationsformen erweitert worden, die einer Explikation der Entstehung und des Wandels von Institutionen, insb. Handelsbetriebsformen (Betriebs- formendynamik) dienen soll (Robert Nieschlag, 1954). Der funktionenorientierte Theorieansatz geht zunächst von einer deskriptiven Analyse der verschiedenen Absatzfunktionen aus, die eine Vielzahl von Systematisierungsansätzen der betrieblichen Funktionslehre münden (Handelsfunktionen). Forschungsgegenstand ist dabei ein bestimmtes Absatzgut, zwischen dessen Herstellungund Verbrauch eine Reihe von Spannungen bestehen. Sie müssen durch die absatzwirt
schaftlichen Funktionen überbrückt werden (Raum-,Zeit-, Mengen-, Qualitätsüberbrückung), wobei die jeweilige Funktionsvertei- lung im Absatzkanal von besonderem Interesse ist (Karl Oberparleitner, 1918; Eugen Leitberer, 1966). Der verbraucherorientierte Ansatz (“Nürnberger Schule“) (Wilhelm Vershofen, 1940) kann als frühe Entwicklungsstufe des verhaltenswissenschaftlichen Theorieansatzes eingestuft werden, in dessen Mittelpunkt die Analyse des Verbraucherverhaltens unter besonderer Berücksichtigung der Kaufmoti- vation (Grund- und Zusatznutzen) steht. Der warenorientierte Ansatz (commodity approach) geht in seiner Vorgehens weise von einer Typologisierung und Klassifizierung von Leistungen aus (Produkttypologie). Darauf aufbauend werden warenspezifische Ausgestaltungsmöglichkeiten der Absatzpolitik einer Unternehmung entwickelt. Schwerpunkt bildet dabei das Auffinden gutsspezifischer Absatzwege (Udo Koppelmann, 1973). Im Mittelpunkt des modelltheoretischen Ansatzes von Gutenberg stehen innen- und außengerichtete Konzepte des Absatzes, der als „Prozeß der Leistungsverwertung“ interpretiert wird (Erich Gutenberg, 1984). Bei den innengerichteten Ansätzen werden die Organisation, Absatzplanung und die Absatzkosten untersucht, im sog. „Außenbereich“ wird unter besonderer Bezugnahme auf die Marktformenlehre und die Methoden der Marginalanalyse eine optimale Kombination der absatzpolitischen Instrumente angestrebt. Die Ansätze der modernen Marketingtheorie sind dadurch zu kennzeichnen, dass sie im Gegensatz zu den älteren fachbezogenen Ansätzen Entwicklungen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre darstellen, deren Theoriegerüst erst danach speziell auf absatzwirtschaftliche Fragestellungen angewendet wurden. Es handelt sich um die für die deutschsprachige Marketinglehre paradigmatischen Ansätze der System- und Entscheidungstheorie, um den verhaltenswis- senschaftlichen Ansatz und den situativen oder Kontingenzansatz. Ein weiterer Theoriezweig entwickelt sich auf Basis der Theorie der Transaktionskosten (Marketing-Ökonomie). Ziel der system theoretischen Marketingtheorie ist die Deskription von charakteristischen Eigenschaften von Marketingsystemen und die Explikation spezifischer absatzwirtschaftlicher Verhaltensweisen in diesen Systemen. Darüber hinaus sollen in praktischnormativer Hinsicht Verhaltensnormen für die optimale Gestaltung von Marketingaktivitäten in Marketingsystemen abgeleitet werden (Hans Ulrich, 1971). Ausgangspunkt der systemtheoretischen Ansätze des Marketing bildet die Analyse der Systemelemente (Menschen, Unternehmen). Zwischen diesen Elementen und der Systemumwelt bestehen durch den Austausch von Gütern und Informationen zu analysierende Input-Output-Beziehungen. Dieser Austausch begründet die zu einem Zeitpunkt bestehende Kopplung zwischen den Systemelementen, wodurch Marketingsysteme entstehen. Zu unterscheiden sind MakroMarketingsysteme („Marketing-Transaktionssy- steme“) die durch die Interaktion mehrerer Institutionen (Lieferant, Hersteller, Absatzmittler und Kunden) entstehen und sog. Mi- kromarketingsysteme, die die spezifischen Kopplungen in und zwischen den Subsystemen der Unternehmung (Marketing-Mana- gement-System) beschreiben. Bei der Analyse des Verhaltens der Systemelemente bedient sich der systemorientierte Ansatz einer „mehrdimensionalen“, ganzheitlichen Betrachtung der Marketingproblemstellung unter Zuhilfenahme verschiedener psychologischer, soziologischer und ökonomischer Aspekte. Der entscheidungsorientierte Marketing- Ansatz versucht als Theorie des Entscheidungsverhaltens den Ablauf von Entscheidungsprozessen zu erklären und Verhaltens- empfenlungen für die Träger von Marketingentscheidungen zu geben (Edmund Heinen, 1971). Unter einer Entscheidung wird dabei jede Art der Willensbildung und Willensdurchsetzung verstanden. Entsprechend kann zwischen Ziel- und Mittelentscheidungen differenziert werden, deren aufeinander abgestelltes Zusammenwirken einen Marketing-Entscheidungsprozeßbegründen. Konstitutive Elemente dieses MarketingEntscheidungsprozesses sind dabei die Formulierung von Marketing-Zielen, die Auswahl der einzusetzenden Mittel (Mar- keting-Instrumente) und die Abbildung eines Entscheidungsfeldes, in dem alle von der Entscheidung betroffenen Sachen und Personen erfaßt werden. Die zielmaximale Kombination der Marketing-Instrumente (Marketing-Mix) hat in derentscheidungsorientierten Absatztheorie zur Entwicklung zahlreicher Marketing- Modelle geführt. Da diese Modelle i.d.R. eindeutige Mittel-Zielerreichungszusam- menhänge unterstellen (deterministischer Entscheidungsfall), absatzwirtschaftliche Entscheidungen aber oftmals unter Risiko (stochastischer Fall) bzw. Unsicherheit getroffen werden müssen, sind verschiedene Entscheidungsregeln und -hilfen formuliert worden (Chancen-Präferenz-Felder,Risikoprofile, Entscheidungsmatrix, -tableau etc.). Primäres explikatives Erkenntnisziel der verhaltenswissenschaftlichen Marketingtheorie ist die Erklärung des Zustandekommens und der Wirkungen der absatzpolitischen Maßnahmen von Unternehmen mit Hilfe verhaltenswissenschaftlicher Konstrukte (Käuferverhalten, Konsumentenforschung). Aus den Erklärungen versucht die Verhaltenstheorie dann Techniken zur Steuerung des menschlichen Verhaltens durch Marketing-Instrumente im Dienste der Unternehmungen zu entwickeln (instru- mentelle Zwecksetzung) (Werner Kroeber- Riel, 1972). Als wissenschaftstheoretische Normen gründen sie sich dabei u. a. auf eine empirische Fundierung ihrer Verhaltenshypothesen, um eine intersubjektive Nachprüfbarkeit sicherzustellen. Zur Erklärung ihrer Verhaltenshypothesen geht die verhaltenstheoretische Marketingtheorie von drei grundsätzlichen Variablenklassen aus. Die von außen beobachtbar auf den Organismus einwirkenden Reize (Stimuli „S“), die beobachtbaren Reaktionen („R“) und die sog. intervenierenden Variablen, die in Form hypothetischer Konstrukte die nicht beobachtbaren psychischen Eigenschaften und Beziehungen im Organismus („O“) abbilden. Zur Erklärung des menschlichen Verhaltens werden die drei Variablenklassen nach dem S-O-R-Schema verknüpft. Dabei spielen psychologische Aspekte zur Erklärung der intervenierenden Variable (Motive, Einstellungen, kognitive Variablen etc.) eine besondere Rolle, wenn das Verhalten von den Eigenschaften der Person abgeleitet wird, während soziologische Aspekte insb. den persönlich-direkten und unpersönlichindirekten Einfluß der Umwelt (wie z.B. Kommunikationsmaßnahmen und Produktpolitik) auf das individuelle Verhalten (Konsumentenverhalten) analysiert wird. Im Gegensatz zu den Optimierungsmodellen des entscheidungsorientierten Marketingansatzes geht die verhaltenswissenschaftliche Marketingtheorie nicht von einer Optimierung des absatzpolitischen Instrumentariums aus. Sie erhebt aber den Anspruch, die Genauigkeit und Sicherheit der Absatzprognose zu verbessern und eine geeignetere (Vor)Auswahl der alternativen Marketing-Instrumente zu erreichen, da sie über eine vertiefte Kenntnis der absatzpolitischen Wirkungszusammenhänge in formaler und empirischer Hinsicht verfügt (Markt- reaktionsfunktion). Der situative Ansatz der Marketingtheorie geht auf die Mitte der 60 er Jahre in den USA entwickelten Ansätze in der Organisationsund Führungsforschung (situational/contin- gency approach) zurück (Fremond Kast, James Rosenzweig, 1973). Er versteht sich dabei nicht als neuer alternativer Theorieansatz, sondern v.a. als eine Weiterentwicklung des systemtheoretischen Ansatzes. Die Vertreter des situativen Ansatzes der Marketingtheorie vertreten in ihrer Grundüberzeugung die Ansicht, dass es für die Lösung eines Marketingproblems nicht eine generell gültige, optimale Handlungsalternative gibt, sondern i.d.R. mehrere situationsbezogen angemessene (Alfred Kieser, Herbert Kubicek, 1976). Das Ziel der situativen Marketingtheorie ist es folglich, alternative absatzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten und Marketingstrukturen zu generieren und in ein Entscheidungsmodell einzubringen, um dann aus der Summe der denkbaren Alternativen diejenige auszuwählen, die unter den spezifischen situativen Gegebenheiten (Marktsituation) die geeignete ist (situativer Fit). Entsprechend ist das Erkenntnisobjekt der situativen Marketingtheorie (a) „Situationscluster“ zu typologisieren und (b) aufbauend auf diesen typischen Marketingsituationen ¡.S.v. „wenn-dann-Beziehungen“ situationsspezifische Maßnahmen abzuleiten. Zur Kennzeichnung spezifischer Marketingsituationen hat sich dabei die Verwendung Unternehmens-, markt-, umweit- und produktbezogener Einflußgrößen als sinnvoll erwiesen (Heribert Meffert, 1989). Bei den produktbezogenen Situationsfaktoren hat sich insb. die Stellung des Produktes im Markt- bzw. Produktlebenszyklus (Ein- führungs-, Wachstums-, Stagnations- und Schrumpfungsphase) als situationsbeschreibende Variable bewährt. Daneben hat die Lösungserfordernis von langfristigen Marketingproblemen bei hoher Unsicherheit zur Entwicklung von Handlungsprogrammen auf Basis alternativer Szenarios geführt (Szenariotechnik).
Literatur: Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Der Absatz, Bd. 2,17. Aufl. Berlin u.a. 1984. Heinen, E., Der entscheidungsorientierte Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre, in:ZfB, 1971,S.429ff.Kast,F.;Rosenzweig,]., Organisation und Management. A Contingency Approach, Tokyo 1970. Kieser, A.; Kubicek, H., Organisation, Berlin, New York 1976. Koppelmann, U., Beiträge zum Produktmarketing, Herne, Berlin 1973. Kroeber-Riel, W. Marketingtheorie, verhaltensorientierte Erklärungen von Marketingaktionen, Köln 1972. Leitherer, E., Methodische Positionen der betrieblichen Marktlehre, in: BfuP 1966, S. 552 - 570. Meffert, H., Die Leistungsfähigkeit der entscheidungs- und systemorientierten Marketing-Theorie, in: Kortzfleisch, G. (Hrsg.), Wissenschaftsprogramm und Ausbildungsziele der Betriebswirtschaftslehre, Berlin 1971, S. 167— 187.Derselbe, Marketingund allgemeine Betriebswirtschaftslehre, eine Standortbestimmung im Lichte neuerer Herausforderungen der Unternehmensführung, in: Die Betriebswirtschaftslehre im Spannungsfeld zwischen Generalisierung und Spezialisierung, Kirsch, W.; Picot, A., (Hrsg.) Edmund Heinen zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 1989. Derselbe, Marketingstrategien in unterschiedlichen Marktsituationen, in: Bruhn, M. (Hrsg.), Handbuch des Marketing, München 1989, S. 277-306. Meffert, H.; Bruhn, M., Marketingtheorie-Quo vadis?, in: Absatzwirtschaft Marketing, Beriebswirtschaftliche Probleme und gesellschaftlicher Bezug, v. Bratschitsch, R. und Heinen, E., (Hrsg.), Wien 1978, S. 1-24. Nieschlag, R., Die Dynamik der Betriebsformen im Handel, Essen 1954. Oberparleitner,K., Die Funktionen des Handels, Wien 1918. Schäfer, E., Die Aufgabe der Absatzwirtschaft, Köln 1950. Seyffert, R., Die Wirtschaftslehre des Handels, überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1955. Ulrich, H., Der svstcmorientierte Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre, in: Kortzfleisch, G. (Hrsg.), Wissenschaftsprogramm und Ausbildungsziele der Betriebswirtschaftslehre, Berlin 1971. Vershofen, W., Handbuch der Verbrauchsforschung, Berlin 1940.
Vorhergehender Fachbegriff: Marketing-Support-System | Nächster Fachbegriff: Marketingansatz
Diesen Artikel der Redaktion als fehlerhaft melden & zur Bearbeitung vormerken
|
|