Unter Agrarmarketing ist Marketing, also die Planung und Durchführung von Maßnahmen zur Erschließung, Entwicklung und Pflege von Märkten, durch Unternehmen oder Institutionen des Agribusiness zu verstehen. Zum System des Agribusiness sind dabei alle direkt oder indirekt an Produktion und Absatz von Nahrungsmitteln und anderen Agrarprodukten beteiligten Unternehmen und Institutionen zu zählen, also neben der Landwirtschaft (einschließlich Gartenbau und Forstwirtschaft) und den der Landwirtschaft nachgelagerten Handelsunternehmen sowie Ernährungsindustrie und -handwerk auch Hersteller von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, Unternehmen des Betriebsmittelhandels, des Lebensmittelgroß- und -einzelhandels sowie die Gastronomie und andere Großverbraucher von Nahrungsmitteln. Neben dem Kern des Agribusiness, der Produktion und Verteilung von Nahrungs- und Genußmitteln, nimmt in neuerer Zeit der Bereich der nicht der menschlichen Ernährung dienenden Agrarprodukte an Bedeutung zu. Hierzu zählen u. a. die Verwendung landwirtschaftlicher Rohstoffe in der industriellen Produktion von Nichtnahrungsmitteln (z.B. Stärke, technische Öle), die Energiegewinnung aus pflanzlichen Rohstoffen sowie die Produktion von Heilpflanzen für die Pharmaindustrie. Im Vergleich zu anderen Märkten bestehen auf den Märkten für Agrarprodukte vergleichsweise einschneidende externe Rahmenbedingungen, die das Aktionsfeld des Agrarmarketings beeinflussen: (a) Die Gesetzgebung gibt mit unterschiedlichen Zielsetzungen enge Rahmenbedingungen vor: Die Bestimmungen der Lebensmittelgesetzgebung dienen dem Gesundheitsschutz der Verbraucher. Der Verbesserung der Markttransparenz dienen die Han- delsklassen-Verordnungenund eine staatlich finanzierte Preisberichterstattung. Durch agrarmarktpolitische Eingriffe wird versucht, die Einkommen der landwirtschaftlichen Produzenten zu stabilisieren (und/oder zu stützen). Diesem Ziel dienen vor allem staatliche Marktinterventionen. Mit diesen Maßnahmen können Ausfuhrerstattungen für Uberschußprodukte oder Außenhandelsschutz-Regelungen zur Begrenzung von Importen aus Drittländern verbunden sein. b) Die Agrarmärkte zeichnen sich durch vergleichsweise starke saisonale und jährliche Angebots- und Preisschwankungen aus. Auf einigen Teilmärkten sind darüber hinaus ausgeprägte zyklische Preis- und Mengenschwankungen zu verzeichnen. c) Im System des Agribusiness bestehens- geprägte strukturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Elementen. Während im Bereich der Landwirtschaft eine große Zahl von Betrieben mit geringem wirtschaftlichen Einfluß agieren, ist z. B. im Lebensmittelhandel ein sehr hoher Konzentrationsgrad mit wenigen, wirtschaftlich starken Unternehmen zu verzeichnen (Nachfragemacht). d) Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weist im Vergleich zu anderen Konsumgütern eine Reihe von Besonderheiten auf, die z.T. als äußere Rahmenbedingungen des Agrarmarketings gesehen werden müssen: - Bei wirtschaftlichem Wachstum kann in den meisten Volkswirtschaften ein abnehmender Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Gesamtausgaben beobachtet werden (Engelsches Gesetz). Dies führt zu Marktsättigung bzw. Überversorgung. - Bei einigen Produkten sind starke saisonale Schwankungen der Nachfrage zu beobachten. - Veränderungen der Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher schlagen sich in steigendem Außer-Haus- Verbrauch und zunehmendem Verbrauch von Convenience-Produkten nieder - Der Nahrungsmittelverbrauch wird in besonderem Maße durch Änderungen von Verbrauchereinstellungen und durch den Wertewandel beeinflußt. Genannt sei hier die Ablehnung bestimmter Formen derTierhaltung aus ethischen Gründen. - Steigendes Gesundheits- und Umweltbewusstsein führt zu einer Sensibilisierung der Verbraucher gegenüber manchen landwirtschaftlichen Produktionsverfahren und zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Nahrungsmittelangebot. Die weiterhin steigende Nachfrage nach Bio-Produkten ist Ausdruck dieses Phänomens (Ab-Hof-Verkauf). Bei der Ausgestaltung der Aktionsbereiche des Marketings mit dem Ziel, gegenüber dem Verbraucher eine positive Differenzierung im Vergleich zu Wettbewerbern zu erreichen, sind, die besonderen Eigenschaften von Lebensmitteln und die spezifischen Bedingungen auf den Lebensmittelmärkten zu berücksichtigen: Die Produktpolitik in Unternehmen des Agribusiness wird durch den biologischen Charakter der landwirtschaftlichen Produktion beeinflußt. Es können erhebliche Qualitätsschwankungen bei den landwirtschaftlichen Roh- bzw. Frischprodukten auftreten, die eine Standardisierung im Zuge des Produktionsprozesses erschweren und häufig eine verbindliche Qualitätszusicherung durch den Anbieter verhindern. Aus der besonders bei Frischprodukten wie Obst und Gemüse, Frischmilch und frischem Fleisch sehr hohen Verderblichkeit von Lebensmitteln resultieren hohe Ansprüche an die Warenbehandlung, Lagerhaltung und Distribution, wiederum verbunden mit der Schwierigkeit der Einhaltung eng begrenzter Qualitäten. Der marketingpohtische Hand- lungsspielraum der Anbieter kann zusätzlich eingeengt sein, wenn das Angebot aufgrund saisonaler Produktion und eingeschränkter Lagerfähigkeit zeitlich begrenzt ist. Im Zuge der Beund Verarbeitung der landwirtschaftlichen Rohstoffe werden veränderte bzw. neue Lebensmittel erzeugt, die sich gegenüber den landwirtschaftlichen Rohprodukten in der Regel durch ein erhebliches Maß an Zusatzleistungen, z. B. verbesserter Lagerungsmöglichkeit, leichterer Zubereitung oder erhöhtem Genußwert auszeichnen. Die Möglichkeiten zur Beeinflussung der qualitativen Eigenschaften der Produkte und damit zur Produktdifferenzierung steigen dabei tendenziell mit zunehmendem Grad der Verarbeitung. Der Handlungsspielraum in der Preispolitik der einzelnen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft ist im Hinblick auf die verschiedenen Teilmärkte unterschiedlich zu beurteilen. Während für die Anbieter landwirtschaftlicher Produkte im Direktabsatz an den Endverbraucher aufgrund hoher ak- quisitorischer Potentiale ein relativ großer Spielraum bei der Preisbildung gegeben ist, ist der Preis beim Absatz an die nachgeord- neten Handels- und Verarbeitungsstufen kaum beeinflußbar, die Anbieter verhalten sich weitgehend als Mengenanpasser. Die Preisbildung des wertmäßig weitaus größten Teils der landwirtschaftlichen Produkte wird durch die EG-Marktordnungen beeinflußt, wobei dieser Einfluß bei den verschiedenen Produkten vom jeweils eingesetzten Marktordnungsinstrumentarium abhängt und sich unterschiedlich stark auf die Erzeugerpreise auswirkt. Der Absatz der Ernährungsindustrie an den Lebensmittelgroß- und -einzelhandel wird stark durch das häufig preispolitisch aggressive Verhalten des Handels bestimmt. Im Vergleich zu anderen Konsumgütermärkten wird der preispolitische Spielraum im Lebensmitteleinzelhandel in starkem Maße zur Differenzierung gegenüber konkurrierenden Anbietern genutzt, wobei insb. Sonderangebote als Differenzierungsinstrument Verwendung finden (Profilierungsstrategie im Handel). Die Entscheidungsmöglichkeiten im Rahmen der Distributionspolitik der Anbieter von Lebensmitteln unterscheiden sich auf den verschiedenen Teilmärkten und Handelsstufen sehr deutlich voneinander. Für den einzelnen Anbieter landwirtschaftlicher Produkte wird die Wahl der Absatzform weitgehend durch die betrieblichen Kapazitäten und die Lage des Betriebes bestimmt. Während ein Teil kleinerer Betriebe in verbrauchernahen Gebieten seine Chancen im Direktabsatz an den Verbraucher wahrnimmt (Ab-Hof-Verkauf), wird die Masse der landwirtschaftlichen Produktion über den privaten oder genossenschaftlich kollek- tierenden Großhandel an die Ernährungsindustrie bzw. das Ernährungshandwerk abgesetzt. Im Bereich des Ernährungshandwerks überwiegt der Absatz über eigene Ladengeschäfte direkt an den Verbraucher, während die Produkte der Ernährungsindustrie indirekt über die verschiedenen Stufen des Lebensmittelgroß- und -einzelhandels distri- buiert werden. Die Lebensmittelhersteller sehen sich dabei mit einer zunehmenden Nachfragekonzentration im Verteilungsgroßhandel und einer Bündelung der Nachfrage in den verschiedenen Organisationsformen des Lebensmittelgroß- und -einzelhandels konfrontiert, wodurch ihr distributionspolitischer Entscheidungsraum tendenziell abnimmt. Auf der Ebene des Einzelhandels ist ein steigender Marktanteil von Großbetriebsformen zu verzeichnen. Der Einsatz von Instrumenten der Kommunikationspolitik beim Absatz von Lebensmitteln hat sich in der Vergangenheit aufgrund des starken Wettbewerbs unter den Lebensmittelherstellern infolge zunehmender Sättigungstendenzen beim Verbraucher von Lebensmitteln verstärkt. Die aus dem starken Wettbewerb resultierenden hohen Produktinnovationsraten bei Lebensmitteln erfordern hohe Werbungsausgaben für die Einführung und Bekanntmachung neuer Produkte, wodurch die Bedeutung der Werbung als marketingpolitisches Instrument einen hohen Stellenwert erlangt. Neben den direkt auf das Image abzielenden Werbemaßnahmen durch die Lebensmittelhersteller und die speziell für Agrarprodukte sehr wichtige und vielfältig reglementierte Warenkennzeichnung werden im Lebensmitteleinzelhandel in starkem Maße Maßnahmen der Verkaufsförderung zur Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern eingesetzt, wobei insb. Preisaktionen durchgeführt werden, häufig ergänzt durch eine besondere Herausstellung der Produkte über Sonderplacierungen und den Einsatz zusätzlicher Werbemittel am Verkaufsort. Aufgrund der hohen physischen Homogenität der erzeugten Produkte und der Vielzahl der Anbieter gelingt es einzelnen landwirtschaftlichen Produzenten kaum, sich durch marketingpolitische Maßnahmen von ihren Wettbewerbern zu differenzieren und eine aktive Preispolitik tu betreiben. Im Vordergrund der betriebswirtschaftlichen Überlegungen steht deshalb für die Mehrzahl der Betriebe eine möglichst kostengünstige Produktion. Eine der wenigen Möglichkeiten für einzelne landwirtschaftliche Betriebe, aktives Marketing zu betreiben, besteht im Rahmen des Direktabsatzes der erzeugten Produkte unter Ausschaltung der nachfolgenden Handelsstufen. Das traditionelle Sortiment des Direktabsatzes - vorwiegend frische Erzeugnisse wie Eier, Kartoffeln sowie Obst und Gemüse - wird dabei zunehmend ausgedehnt auf bearbeitete Produkte wie Fleisch- und Wurstwaren, Marmelade, Käse usw., die aufgrund der lebensmittelrechtlichen Bestimmungen in der Regel die Errichtung eigener Verkaufsräume in den Betrieben erfordern. Daneben nutzen einzelne Landwirte auch die Möglichkeit, die traditionellen Absatzwege zu umgehen und ihre Produkte direkt an Großverbraucher wie Kantinen und Gaststätten oder an den Einzelhandel zu liefern. Auch bei diesen Formen des Direktabsatzes läßt sich durch eine konsequente Ausrichtung der Produktion der marketingpolitische Handlungsspielraum zusätzlich erweitern. Marketing wird auf Agrarmärkten häufig in Kooperation einer Vielzahl von Unternehmen durchgeführt. Dies hat seine Ursache in den geringen Marktanteilen und der schwachen Marktmacht der einzelnen Unternehmen. Am weitesten verbreitet sind Kooperationen, bei denen eine kleinere Gruppe von Unternehmen einzelne Marktaufgaben gemeinsam wahrnimmt (z. B. Marktforschung und Werbung, gerade auf Agrarmärkten aber häufig auch Produktpolitik oder Distribution). Man spricht hier von Gruppenmarketing. Unter Einschluß landwirtschaftlicher Betriebe finden sich aktuelle Beispiele dafür vor allem auf den Märkten für Produkte mit präzisierten Qualitätszusicherungen (z.B. pflanzliche oder tierische Erzeugnisse aus kontrollierter oder ökologischer Produktion). Verbreitet ist Gruppenmarketing auch in einigen Bereichen der Ernährungsindustrie (z.B. Gruppen von Molkereien, Gruppen von Brotfabriken). Am Gemeinschaftsmarketing sind dagegen alle Unternehmen einer Branche (oder sogar mehrere Stufen des Agribusiness) beteiligt. Eine besonders umfassend konzipierte Gemeinschaftsmarketinginstitution ist die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (CMA). Sie wurde aufgrund des Absatzförderungsgesetzes vom 26.6.1969 gegründet. Die Finanzierung erfolgt durch obligatorische Beiträge der Land- und Ernährungswirtschaft. Gesellschafter der CMA sind die Spitzenverbände von Land- und Forstwirtschaft (55%) und von Ernährungsindustrie und -handel (45%). Die CMA setzt die nationale Herkunft deutscher Produkte als Differenzierungsmerkmal ein. Typisch ist-wie für jede Gemeinschaftsmarketinginstitution - der vornehmliche Einsatz von Instrumenten des kommunikativen Marketings (Werbung, Verkaufsförderung, Product Publicity). Jedoch sind die Bemühungen, auch auf weitere Aktionsbereiche des Marketings einzuwirken, beachtlich (Markierung qualitätsgeprüfter Produkte durch „CMÄ-Gütezeichen“, Ansätze für Markenbildung, z.B. „Ackergold“-Speisekartoffeln). Der erforderliche Interessenausgleich (horizontal wegen der Substitutionsbeziehungen zwischen den verschiedenen Agrarprodukten, vertikal wegen der nicht immer einheitlichen Interessen der Stufen des Agrarbusiness) wird oft als Schwäche einer solchen Gemeinschaftsmarketing-Institution bezeichnet, fördert aber die Kommunikationsintensität zwischenden Trägern der Institution. Bei zunehmendem Wettbewerb zwischen Lebensmitteln aller nationalen Herkünfte in der EG können die Marketingaktivitäten der CMA bei Einzelhandel und Verbrauchern weiter steigendes Interesse erwarten. Darüber hinaus bemühen sich auch Marketinginstitutionen um regionales Gemeinschaftsmarketing (in der Regel jeweils in der territorialen Abgrenzung der Bundesländer).
Literatur: Strecker
0. ; Reichert}.; Pottebaum P., Marketing für Lebensmittel, 2. Aufl., Frankfurt 1990.
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