1) Institutioneile Verankerung In der (alten) Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin wurde 1990 Betriebswirtschaftslehre an 58 öffentlichen und vier privaten Hochschulen mit Universitätsrang unterrichtet. Rund 70 Professoren und habilitierte Dozenten widmen sich dabei speziell dem Fachgebiet des Marketing. Die ersten Hochschulinstitute und Lehrstühle mit der ausdrücklichen Bezeichnung „Marketing“ wurden in Deutschland Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre geschaffen. Freilich hat die betriebswirtschaftliche Absatzlehre eine viel längere Tradition. Sie reicht als akademisches For- schungs- und Lehrgebiet zurück bis zum Beginn dieses Jahrhunderts, als sich an einigen sog. Handelshoch sch ulenund an Universitäten die Handelsbetriebslehre etablierte, gefolgt von der Gründung einschlägiger empirischer Forschungsinstitute in den zwanziger und dreißiger Jahren. Nach dem zweiten Weltkrieg kam es an verschiedenen deutschen Universitäten zur Einrichtung von Lehrstühlen und Instituten mit der Bezeichnung „Absatzwirtschaft“. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft wurde 1964 die „Katalogkommission für die handels- und absatzwirtschaftliche Forschung“ gegründet, der die Leiter der einschlägigenHochschulinstituteund-Seminare, der fachlich zuständigen Lehrstühle und vergleichbarer Forschungseinrichtungen angehörten. Diese Kommission gab bis in die achtziger Jahre regelmäßig Kataloge heraus, die der Information über wissenschaftliche Arbeiten dienten. Im Rahmen des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. konstituierte sich 1970/71 als erste (für besondere Fachfragen zuständige) Untergruppierung der „Arbeitskreis für Absatzwirtschaft“, später „Kommission Marketing“. Sie ist gegenwärtig mit nahezu 100 Mitgliedern eine der am stärksten besetzten Sektionen. 2) Forschungsansätze Als wissenschaftliche Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre ist-das Fach Marketing auf Beschreibungs-, Erklärungs-, Prognose- und Gestaltungsziele ausgerichtet. Im Rahmen der Beschreibungsziele kommen in jüngerer Zeit verfeinerte Methoden der Klassifikation und Typenbildung zum Zuge, z.B. Clusteranalysen aufgrund empirisch er- mitteiter Merkmalsausprägungen (so etwa zur Bestimmung und Unterscheidung von Konsumententypen, Konsumentenforschung). Erklärungsziele beinhalten den Versuch, real feststellbare Sachverhalte mit Hilfe überprüfbarer Generalisierungen zu begründen. So stellen zahlreiche Untersuchungen darauf ab, die Bedingungen für bestimmte Verlaufs- formen des Kaufentscheidungsprozesses bei Konsumenten wie auch bei gewerblichen Nachfragern zu erforschen. Ein anderes Beispiel für Erklärungsbemühungen kann aus dem Problemgebiet der Marketing-Organi- sation angeführt werden: Hier wird neuerdings öfters die Frage aufgeworfen, unter welchen betriebsinternen und marktspezifischen Bedingungen bestimmte Strukturregelungen zur Wahrnehmung von Marketing-Aufgaben am effektivsten sind (z. B. das Produkt-Management oder das Kunden- Management). Prognoseziele knüpfen zukunftsgerichtet an Erklärungsaussagen, aber auch an statistische Projektionsmethoden an. Hier spielen im Marketing bspw. die Bemühungen um Wirkungsprognosen für absatzpolitische Maßnahmen eine große Rolle (Marktre- aktionsfunktion). Bei den Gestaltungszielen schließlich begegnen sich die wissenschaftliche Analyse und die Praxis des Marketing am engsten. Denn hier geht es um Forschungsbeiträge, die das marktbezogene Planen, Entscheiden und Handeln fundieren sollen. Erklärungs- und Prognoseansätze (d. h. die Kenntnis, welche Konsequenzen unter bestimmten Bedingungen aus möglichen Ereignissen oder Handlungen folgen) sind für Gestaltungsmaßnahmen unmittelbar bedeutsam. So unterstützt z.B. das heute verfügbare Wissen über Vorgänge der menschlichen Informationsverarbeitung ganz wesentlich die Aktivitätenplanung in der Marketing-Kommunikation (Werbung, anwendungstechnische Beratung,persönliche Verkaufsgespräche etc.). Darüber hinaus sind aber in der anwendungsbezogenen („praxeologischen“) Marketing-Lehre auch formale Planungsmodelle und -methoden besonders wichtig (Modelle). Hier zeichnet sich heute eine Verbindung mit dem Operations Research, der Informatik und dem betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen ab. Zur Erfüllung der genannten Forschungsziele sind in der deutschen Marketing-Lehre im Laufe der Zeit recht verschiedene Untersuchungsperspektiven gewählt worden (Marketingtheorie). Aus heutiger Sicht kommt es darauf an, diese Teilaspekte der wissenschaftlichen Betrachtung zu einem umfassenden Forschungsmuster zu verknüpfen. 3) Marketing-Forschung als umfassende Grundlage für ein marktorientiertes Management-System Trotz unterschiedlicher Spezialisierungsrichtungen der einzelnen Fachvertrcter zeichnet sich heute im ganzen eine umfassende, managementorientierte Sicht der Marketing-Disziplin ab. Es wird versucht, die verschiedenen Forschungsansätze zu einem System zu verbinden, das Erklärungen und Gestaltungshilfen für die Management-Aufgaben der Planung, Entscheidung, Maßnahmensteuerung, Kontrolle und Organisation im Marketing-Bereich liefert. In diesem Sinne erstreckt sich die gegenwärtige Marketing-Lehre in der Bundesrepublik Deutschland v. a. auf folgende Problembereiche: • Darstellung der Zusammenhänge zwischen Marketing und gesamtwirtschaftlichem System bzw. ökologischem Umsystem • Typologie von Märkten • Erklärung und Prognose des Käuferverhaltens (in Konsum- und Investitionsgütermärkten) • Prozeß der betrieblichen Marketing-Planung - Marktforschung als Basis der Marketing-Planung, insb. auch strategisch ausgerichtete Marktforschung - Situationsanalyse (erreichte Wettbewerbsposition, Kundenstrukturanalysen, Distributionsindizes, Portfolio- und Erfolgsanalysen) - Marktprognosen - Entwurf künftiger Marketing-Strategien - Planung künftiger Markt- Leistungs- Kombinationen (Marktwahlstrategien) - Marktteilnehmerstrategien (Marktsegmentierung, Wettbewerbsstrategien, Strategien des vertikalen Marketing) - Erarbeitung von Marketing-Zielen - Gestaltung der Instrumentalbereiche (Produkt- und Sortimentspolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik, Distributionspolitik) und des sog. Marketing-Mix - Verknüpfung von strategischer und operativerMarketing-Planung, insb. im Hinblick auf den kurzfristigen Maßnahmeneinsatz • Marketing-Kontrollen und Marketing- Audits • Gestaltungsformen der Marketing-Organisation. Die derzeitigen Lehrbücher widmen, obgleich mit etwas unterschiedlichen Akzenten, meist allen diesen Teilaspekten Aufmerksamkeit. Damit hat sich das Fach Marketing zu einer system- und entscheidungsorientierten Disziplin entwickelt, die sich um theoretische Grundlegung und zugleich um praktisch relevanten Anwendungsbezug bemüht. Dementsprechend sind in den letzten zehn Jahren auch die Kontakte zwischen dem Hochschulbereich und der Praxis intensiviert worden. 1) Kooperation zwischen Marketing-Wis- senschaft und Marketing-Praxis Ganz abgesehen von den vielen bilateralen Kontakten, die Hochschullehrer der Fachrichtung Marketing mit Unternehmen, Verbänden und öffentlichen Institutionen pflegen, haben sich einige umfassendere Kooperationen entwickelt. 1975 gründeten die Deutsche Marketing-Vereinigung und die Kommission Marketing im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft einen gemeinsamen Ausschuß unter der Bezeichnung „Wissenschaft und Praxis“. Er führte 1979 eine Befragung bei deutschen Unternehmen durch, die sich mit der „Verwertbarkeit der Marketing-Ausbildung an Deutschen Hochschulen in der Praxis“ befaßte. Die Untersuchungsergebnisse ließen den Wunsch der Praktiker erkennen, v. a. auf folgende Gebiete der Marketing-Lehre noch intensiveres Gewicht zu legen (die nachstehende Reihenfolge entspricht der relativen Häufigkeit der Nennungen): - Marketingkontrolle - Marketingplanung und-Strategie - Rechtliche Aspekte des Marketing (z.B. W ettbewerbsrecht) - Werbung/Sales Promotions und Public Relations - Dienstleistungsmarketing. Anfang der achtziger Jahre setzte die Schma- lenbach-Gesellschaft/Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft eine Fachkommission für AusbildungsfragenimBereichdesMarketingein.ZielwardieErarbeitungeines Anforderungsprofils für die Hochschulausbildung im Fach Marketing. Auf dieses Programm, das 1984 veröffentlicht wurde, wird im Abschnitt
(5) noch nähereingegangen. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft undPraxis hat sichindenletztenjahren natürlich nie ht nur auf die Erstellung von Anforderungskatalogen an die Marketing-Lehre beschränkt. Es gibt Initiativen, um im Marketing-Bereich den Forschungstransfer von den Hochschulen zur Anwenderseite zu verbessern. Dazu gehört bspw. die Präsentation der Hauptarbeitsgebiete und Forschungsergebnisse der Marketing-Wissenschaftler, um eine möglichst hohe Transparenz für interessierte Anwender zu schaffen. Imjahre 1985 hat das Magazin „Absatzwirtschaft, Zeitschrift für Marketing“ (dasvonderobenerwähntenDeutschenMar- keting-Vereinigungmitherausgegebenwird) einenBericht,, Wobringt die WissenschaftSie weiter?“ veröffentlicht. Darin wird in ausführlichen Übersichten über die einzelnen Marketing-Lehrstühleandenwissenschaftli- chen Hochschulen berichtet. Es wurden einerseits die Forschungsschwerpunkte und die Gewichtung der verschiedenen Marketing-Teilgebiete im Arbeitsprogramm des j e- weiligen Forschers aufgezeigt. Andererseits erfolgten Angaben über die von jedem Lehrstuhl durchgeführten Kooperationsprojekte mit der Praxis und über die hauptsächlichen Wirtschaftssektoren, mitdenendieseZusam- menarbeitstattfand. Auf die zahlreichen Details dieser Studie kann hier nicht eingegangen werden. Es läßt sich aber zusammenfassend feststellen, dass die bisherigen Forschungsschwerpunkte der Deutschen Marketing-Lehrstühle v. a. auf folgenden Gebieten gelegen haben (die Reihenfolge entspricht der Rangfolge der gewichteten Nennungen): - Strategisches Marketing - Marktforschung - Produktpolitik - Marketing-Management - Werbung - Vertrieb - Neue Medien - Internationales Marketing - Preispolitik. ÜberaktuelleForschungsentwicklungen berichtet regelmäßig die Zeitschrift „Marketing-ZeitschriftfürForschungundPraxis“in ihrem Arbeitspapier- und Dissertations-Re- port. 1) Gestaltung der Ausbildungsprogramme Das bisher ausführlichste Anforderungsprofil für die Marketing-Ausbildung an den Hochschulen hat eine Fachkommission der Schmalenbach-Gesellschaft/Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft erarbeitet. Sie unterscheidet zwischen einem „Grundlagenstudium“ und einem „Spezial- bzw. Vertiefungsstudium“. Im Grundlagenstudium soll allen Studierenden der Betriebswirtschaftslehre ein gewisses Marketing-Basis- wissen obligatorisch vermittelt werden. Das Spezial- bzw. Vertiefungsstudium betrifft die Wahl des Faches Marketing als „Spezielle Betriebswirtschaftslehre“ im zweiten Teil der Hochschulausbildung (dem sog. Hauptstudium nach bestandenem Zwischenexamen). Die Vorschläge der Kommission sehen vor, dass im Grundlagenstudium jeder Betriebs- wirtschafts-Student einen einführenden, relativ knapp gefaßten Einblick in folgende Problembereiche erhält: - Austauschprozesse im Rahmen des Marketing - Umweltbezüge des Marketing - Marketing-Konzeptionen - Marketing-Entscheidungen und ihre Determinanten - Marketing-Ziele und -Strategien - Marketing-Informationen - Marketing-Instrumente - Marketing-Controlling - Marketing-Organisation - Rechtliche Grundlagen des Marketing. Für das Spezial - bzw. Vertiefungsstudium ist der erarbeitete Katalog so vielfältig und umfangreich, dass er - auch nach Ansicht der Fachkommission - nur als umfassender Bezugsrahmen gedeutet werden kann, aus dem die Studierenden dann bis zu einem bestimmten Oberlimit an Wochenstunden pro Semester auszuwählen haben (und zwar nach individueller Neigung, aber auch entsprechend dem personell möglichen Lehrange- bot an der betreffenden Hochschule). Vorgesehen sind jedenfalls für das Spezialstudium folgendeHauptgebiete: - Marktwahl und Marktsegmentierung - Marktforschung und quantitative Methoden - Produktpolitik - Absatzwegepolitik - Verkauf - Marketing-Logistik - Kommunikationspolitik - Preispolitik - Absatzfinanzierung - Marketing-Organisation - Marketing-Kontrolle - Rechtliche Aspekte des Marketing - Besonderheiten des Handelsmarketing, des Konsumgütermarketing, des Investitionsgütermarketing, des Dienstleistungsmarketing - Internationales Marketing - Marketing nicht-erwerbswirtschaftlicher Organisationen - Marketing und Gesamtwirtschaft. Zu allen diesen Hauptgebieten enthält das veröffentlichte Anfordcrungsprofil sehr ins einzelne gehende Unterpunkte und Erläuterungen. Zukunftsperspektiven Marketing wird künftig noch stärker in seinen gesamtgesellschaftlichen und ökologischen Bezügen untersucht werden. Eine langfristig ausgerichtete und sozialverantwortlich angelegte Unternehmenspolitikbezieht umweltorientierte Zielvorstellungen zunehmend in ihre Planungen mit ein (Marketingethik; ökologisches Marketing). Für die Marketing-Forschung stellen sich in diesem Zusammenhang große Herausforderungen, z.B. im Hinblick auf die Weiterentwicklung systemanalytischer Untersuchungen und geeigneter Verfahren der Wirkungsprojektion (sog. Marketing-Assessment). Stark veränderte Bedingungen für das Marketing ergeben sich auch durch technologische Neuerungen im Informations- und Kommunikationssektor (Neue Medien, Computer Aided Selling, Scanning) sowie auf Gebieten, die ganz neuartige Marktfelder eröffnen (z. B. in der Biotechnologie). Die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Technologiemanagement sowie das Innovationsmanagement erhalten damit künftigzunehmendes Gewicht. Ebenso stellt die fortschreitende Internationalisierung der Märkte und die Schaffung des EG-Binnenmarktes nach 1992 die Marketing-Forschung vor neue Aufgaben, die in der Zukunft bei der Gestaltung des Lehran- gebotes noch stärker zu berücksichtigen sind (Euro-Marketing). Schließlich ist festzustellen, dass in jüngerer Zeit eine noch ausgeprägtere Verknüpfung des Marketing mit klassischen betriebswirtschaftlichen Bereichen, wie dem Rechnungswesen und der Ergebniskontrolle, angestrebt wird. Zu nennen ist hier neuerdings auch das Bemühen, Marketing- (insb. Wettbewerbs-) Strategien aus einer Analyse der gesamten betrieblichen Wertkette zu entwickeln. Abschließend kann resümiert werden, dass das Fach Marketing in Deutschland als Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre mit einem recht fest definierten Kernbestand an Lehrstoff etabliert ist. Für die Forschung auf diesem Gebiet und für die künftige Ausbildung zeichnen sich aber immer wieder ganz neuartige zusätzliche Aufgabenstellungen ab.
Literatur: Bäcker, F.; Hubel, W.; Schwer dt, A., Marktforschung an den wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, in: Marketing-ZFP,
7. Jg. (1985), S. 119-123. Fachkommission Ausbildungsfragen im Bereich des Marketing in der Schmalen- bach-Gesellschaft/Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., Anforderungsprofil für die Hochschulausbildung im Bereich des Marketing, in: ZfbF, 36. Jg. (1984), S. 842-860. Flammann, P.; Kammermeier, R., Die Verwertbarkeit der Marketing-Ausbildung an deutschen Hochschulen m der Praxis, in: Marketing-ZFP,
2. Jg. (1980), S. 134— 135. Kaiser, A., Orientierungsrahmen für die han- dels- und absatzwirtschaftliche Forschung, Ergebnisse einer Befragung, in: Marketing-ZFP,
1. Jg. (1979), S. 122-128. Klein-Blenkers, F. (Hrsg.), Bibliographie der Marketing-Literatur, Kölner Absatzwirtschaftliche Dokumentation, Bd. 2 (zusammengestellt von R. Schiller unter Mitarbeit von F. Kästmg), Stuttgart 1979. Meffert, H. (Hrsg.), Perspekt iven des Marketing in den 80 er Jahren, in: Marketing im Wandel, Wiesbaden 1980, S. 3 - 35. Raffee, H., Grundfragen der Marketingwissenschaft, in: WiSt,
9. Jg. (1980), S. 317-324. Raffee, H., Marketingperspektiven der 80er Jahre, in: Marketing-ZFP,
4. Jg. (1982), S. 81-90.
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